Gespräche über das gute Leben

Einladung zu Gesprächen über das gute Leben

Das Gerede vom guten Leben ist beinahe verstummt. Statt dessen werden simple Rezepte für das gelungene Leben digital und marktschreierisch verkündet. Alles scheint eine Ansichtssache zu sein, sodass jeder seine eigene Wahrheit leicht finden und sogleich das eigene Glück herbei schmieden kann (vgl. den Artikel "Mit Fitness zum Glück")

„Das deutlichste Zeichen der Weisheit ist eine immer gleich bleibende Heiterkeit“, meinte einst Michel de Montaigne. Aber das Denken und die Philosophie gilt nach wie vor als sauschwer und unnütz. Das Angebot einer begleiteten Gesprächsrunde über das gute Leben, wird daher nur jene Menschen ansprechen, die glauben, dass das lustvolle gemeinsame Nachdenken weiter führen kann, als die üblichen Kochrezepte im Fertigpackerlformat.

Der antike Philosoph Aristoteles hat Menschen nach ihren Ansichten vom guten Leben befragt. Empirisch informierte praktische Philosophie lebt von angenommenen Einladungen wie dieser:

Ich lade Sie ein, Ihre Gedanken zum guten Leben lebendig werden zu lassen. Für Sie ist es eine Gelegenheit, diese zumeist im Verborgenen wirkenden Glaubenssätze im Licht des Bewusstseins zu betrachten und für mich, mehr über das gute Leben zu erfahren, das sich Menschen überall auf der Welt und zu allen Zeiten wünschten und immer noch wünschen.

Wir können dies mit einem gemeinsamen Spaziergang verbinden, einem Besuch in einem Café, bei mir in der Philosophischen Praxis oder an einem anderen zu vereinbarenden Ort - zur Not auch online via Zoom. Ich freue mich über Ihre Kontaktaufnahme, entweder per Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.oder telefonisch unter 0680 5010 334.

 

Möglicherweise hilft der folgende Text dabei herauszufinden, ob so ein Gespräch sinnvoll ist:

Mit Fitness zum Glück

Philosophie gilt als sauschwer, aber reist das Leben immer mit leichtem Gepäck? Reicht es die Hände gen Himmel zu strecken und mit einem dreimaligen "yes, yes, yes!", das Glück jedes Mal ein Stück weit herunterzuziehen und herbei zu schreien? Auf Events von Life-Coaches kann man diese Pumpbewegungen gemeinsam in Hallen mit olympischen Dimensionen, untermalt von Wohlfühlmusik, ausprobieren.

Probieren geht über studieren, sagt man. Und wenn diese ekstatisch zuckenden Hände zu "yes, yes, yes!" die neue Liturgie zum befreiten Leben ist, muss man sich eben daran gewöhnen. So schwer kann das gar nicht sein, denn die Hoffnung mit solchen Moves Erfolg zu haben wird musikalisch verstärkt und erhält durch Aura und Stimme des Life-Coaches und seiner Messdiener Plausibilität. Außerdem hat man jede Menge Geld für das Event ausgegeben und je mehr Euros, desto mehr skeptische Gedanken können erstickt werden. Und überhaupt gilt hier das Gesetz der Emotion; denn nichts ist ansteckender, als mit möglichst vielen gemeinsam in den Gefühlstaumel des "yes, yes, yes!" zu gleiten. Die Vernunft in Form von komplizierten Erklärungen hat die neue Erleichterungsbewegung des "yes, yes, yes!" nicht nötig. Der gemeinsame Ritt entlang einer ekstatisch gestimmten Gegenwart befreit im Nu von peinigenden existenziellen Fragen. Die heilende Atmosphäre des Hier und Jetzt verfehlt nie ihre Wirkung, aber im gestreckten Galopp übersieht man leicht etwas Wesentliches.

Irgendwann endet die Erlaubnis sich von Vergangenheit und Zukunft zu entfernen. Bald nach Dienstantritt im gewöhnlichen Alltag lugen die seelischen Dämonen und bösen Geister aus ihren Schlupflöchern hervor und kehren in das Bewusstseinsfeld des Menschen zurück. Jetzt wird alles wieder bedenklich und die Gedanken kreisen wie die Boliden im Formel-1-Zirkus umher. Nun zeigt sich, wie nährend und stärkend das "yes, yes, yes!" für das geistige Immunsystem war. Der Vorteil der individualistischen Life-Coaching-Religion gegenüber den klassischen Heilsversprechen liegt darin, dass die Prüfung ihrer Wirkung vor dem Tod möglich ist, während man sich früher mit den schmalen Bissen der Hoffnung auf ein hübsch ausgemaltes Paradies im Jenseits begnügen musste. Weil mit Differenzen und Unterscheidungen bei diesen Events ein spektakulär großzügiger Umgang gepflegt wird und man mit dem Universum in atemberaubender Geschwindigkeit auf Du und Du ist, drängt sich die Ikea-Frage für die Bewertung der Exorzismusstärke des "yes, yes, yes!" auf: Wohnst du noch in der Hölle des Alltags, oder lebst du schon im Paradies?

Weil wir modernen Menschen die Felder der transzendentalen Zukunft - gemeint ist die Zeit, in der wir als Individuum nicht mehr sein werden - kaum mehr kultivieren, und sie bestenfalls als Brachlandschaft oder Nicht-Ort wahrnehmen können, müssen sich die paradiesischen Zustände in unserer Lebensspanne herstellen lassen. Ein geschickter Pinsel bei der Produktion des irdischen Idylls ist auch in diesem Fall obligatorisch und notwendig. Wir malen keine Fresken mehr auf Decken von Kuppeldächern, sondern haben den himmlischen Glanz durch technische Wunderwerke auf der Erde installiert. Es könnte sein, dass wir den Fast-Forward-Modus dabei ein wenig überspannt haben, denn einige besonders promiskuitive Charaktere, deren Imaginationskraft über das übliche Maß hinausgeht und die ihr Selbst auch in einer anderen Gestalt und in weit entfernten Zukünften erspüren, haben begonnen sich über die transzendentale Zukunft Sorgen zu machen. Sie haben Angst, dass der Nicht-Ort zur Wüste werden könnte. Solche wird man vermutlich nicht auf den Erlebnisfeierlichkeiten des "yes, yes, yes" antreffen und wenn doch, dann mischen diese Spielverderber und Bedenkenträger dem Einheitsklang womöglich ein zaghaftes "maybe not" bei. 

Wenn man die unterschiedlichen Arten der Vorbereitung auf die paradiesischen Spiele im Diesseits betrachtet, finden wir uns in einem Multiversum wieder, in dem beinahe jedes Individuum in einem eigenen Universum lebt: Die einen trainieren mit Luftgewichten, die sie zu sich herunterziehen, andere stemmen ganz neben-sich und neben-bei Styropor-Apps in der Trainingshalle des Smartphones, und einige mühen sich mit schweren Gedanken ab, die ihnen der Alltag in ihr Bewusstsein legt. Letztere sind noch am ehesten gewillt an ein gemeinsames Universum zu glauben. Sie versuchen Einsicht in Zusammenhänge zu gewinnen und adäquate Ideen aufzuspüren, weil sie festgestellt haben, dass selbst sauschwere Gedanken durch Denken beweglich gemacht werden können und sie das Denken ganz nahe an jene Sphäre heranführen kann in der das geräuschlose Schweben - zumindest für kurze Zeit - möglich ist.

 


Grabungsarbeiten vorschlagen